Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Halbzeitbilanz zur Gesundheits- und Pflegepolitik der Großen Koalition: Flott im Tempo, dünn in der Substanz

Die große Koalition hat eine halbe Legislaturperiode hinter sich. Auf den ersten Blick scheint sich im Bereich Gesundheit und Pflege viel getan zu haben. Auf den zweiten Blick freilich erweist sich, dass die Lösung der grundsätzlichen Fragen weiter aufgeschoben wird.

15.10.2015

Ungewöhnlich detailliert war die gesundheits- und pflegepolitische Agenda der Großen Koalition im Koalitionsvertrag, und ungewöhnlich flott das Tempo mit dem sie abgearbeitet wurde. Dafür gab es zunächst viel Lob. Das seit über zehn Jahren diskutierte Präventionsgesetz, eine Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs sowie eine gesetzliche Förderung der Palliativversorgung wurden auf den Weg gebracht. Auch im Versorgungsstärkungsgesetz und im derzeit diskutierten Krankenhausstrukturgesetz finden sich positive Details. Schaut man aber genauer hin, fällt auf: Es handelt sich durchweg um Schönwetter-Gesetze. Konfliktträchtige Strukturreformen wurden mit Rücksicht auf den Koalitionspartner, die Ärzteschaft oder die Länder vermieden.

Nicht herangetraut hat man sich an eine andere Aufgabenverteilung unter den Gesundheitsberufen und die Sicherung der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum sowie den Abbau von Überversorgung bei den niedergelassenen Ärzten in Städten und von unrentablen Krankenhäusern. Bei den Krankenhäusern wurde nichts für eine bessere Finanzierung der Investitionen getan. Eine stabilere und gerechtere Finanzierung unseres Gesundheitswesens ist ebenfalls nicht in Sicht. Beim neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der den Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert und mehr Leistungen vorsieht, wird das Problem des akuten und weiter zunehmenden Pflegekräftemangels nicht angefasst. Faktisch läuft diese Reform aber ohne genügend Pflegekräfte ins Leere.

Dabei konnte die Bundesregierung auf üppig gefüllte Rücklagen im Gesundheitsfonds und bei einigen gesetzlichen Krankenversicherungen zurückgreifen. Verteilungskonflikte etwa innerhalb der Ärzteschaft konnte sie durch zusätzliches Geld überdecken. Zugleich setzte sie fort, was schon die Vorgängerregierung praktizierte: das Geld der gesetzlich Versicherten zweckentfremdet einzusetzen. Es wurde herangezogen etwa zur Haushaltssanierung (durch Kürzung des Bundeszuschusses) oder zur Finanzierung von primär staatlichen Aufgaben oder Behörden.

So wurden Stellen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert oder Aufgaben vom steuerfinanzierten Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) auf das GKV-finanzierte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) übertragen. Zur Finanzierung der öffentlichen Telematik-Infrastruktur werden ausschließlich Mittel der GKV eingesetzt. Auf erhebliche öffentliche Kritik stieß die Bundesregierung bisher nur bei der faktischen Abwicklung der Unabhängigen Patientenberatung und ihre Ersetzung durch ein zweifelhaftes privatwirtschaftliches Unternehmen. Hier hat Minister Gröhe es geschickt verstanden, abzutauchen und keine Verantwortung zu übernehmen.

Doch die fetten Jahre sind vorbei. Nach der Schönwetterphase zeichnet sich schwere See ab. Die gesetzlichen Krankenkassen haben bereits für das Jahr 2016 steigende Zusatzbeiträge angekündigt. Die Rücklagen im Gesundheitsfonds und bei den Kassen schmelzen dahin. Ursachen für die höheren Beiträge sind steigende Ausgaben etwa für Arzneimittel oder die ärztliche Versorgung. Trotz einer nach wie vor guten Arbeitsmarktsituation können die Einnahmen der GKV nicht mit der Kostensteigerung bei den Ausgaben Schritt halten. Kritisch wird es, wenn sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert und die Einnahmen sinken. Hinzu kommen Zusatzausgaben für die beschlossenen teuren Geschenke. Es zeigt sich: Der größte Fehler dieser Koalition, und vor allem der SPD war es, eine grundlegende Finanzreform des deutschen Krankenversicherungssystem hin zu mehr Stabilität und Gerechtigkeit auszuklammern.

Gesundheitsministers Gröhe gilt als geräuschloser aber effektiver Macher, der die im Koalitionsvertrag skizzierte Gesundheitspolitik zügig vorangebracht hat. Seinen Ruf verdankt er allerdings auch der Stagnation unter seinen Vorgängern. Künftig wird es allerdings um grundsätzliche Fragen im Gesundheitssystem und ihre Finanzierung gehen, und da weht ein anderer Wind. Ein Schönwetterkapitän wie Gröhe ist dabei wohl kaum einer, der auch für die schwere See taugt.

Tags: Pressearchiv, Alter und Pflege
« zurück