Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Solidarität wirkt! Die Grüne Pflege-Bürgerversicherung

Fachgespräch am 23. Februar 2012 im Deutschen Bundestag

27.02.2012

Mit der Pflege-Bürgerversicherung setzt die grüne Bundestagsfraktion – im Gegensatz zu Schwarz-Gelb – auf eine verlässliche, nachhaltige und sozial gerechte Finanzierung der Pflegeversicherung. Ziel des Fachgesprächs am 23. Februar war, ein aktuelles Gutachten der Universität Bremen zur Pflege-Bürgerversicherung vorzustellen und mit ExpertInnen kritisch und kontrovers zu diskutieren.

Renate Künast, Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, eröffnete das Fachgespräch vor etwa 120 TeilnehmerInnen. Eine große pflegerische Strukturreform sei überfällig, so Künast. So müsse etwa endlich ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt und pflegende Angehörige besser unterstützt werden. Dies setze eine solide Finanzierung voraus, deshalb der grüne Vorstoß für eine Pflege-Bürgerversicherung. Schwarz-Gelb hingegen habe das „Jahr der Pflege“ 2011 ungenutzt verstreichen lassen. Das nun vorgelegte Pflege-Neuausrichtungsgesetz löse kein einziges Problem.

Elisabeth Scharfenberg, pflege- und altenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, umriss darauf die Eckpunkte der Pflege-Bürgerversicherung. Zentral sei die Einbeziehung aller BürgerInnen und aller Einkunftsarten sowie die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung (West). Wichtig sei für das Gutachten (s.u.) zudem gewesen, Mehrkosten für einen neuen Pflegebegriff und eine werterhaltende Leistungsdynamisierung sowie das grüne Modell einer „solidarischen Demografiereserve“ zu berechnen.

Das Gutachten zur Pflege-Bürgerversicherung stellte danach Prof. Dr. Heinz Rothgang, Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, vor (s. Downloads re. Spalte). Die zentralen Ergebnisse: Mit der Bürgerversicherung kann der Beitragssatz dauerhaft unter dem in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) erforderlichen Satz gehalten werden. Bei einer 15%igen Leistungsausweitung für einen neuen Pflegebegriff und einer kaufkraftstabilisierenden Dynamisierung ist im Jahr 2055 ein maximaler Beitragssatz von ca. 3,2% erforderlich. In der Privaten Pflegeversicherung (PPV) werde die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2060 um 281% steigen, in der SPV „nur“ um 53%. Dies lege eine Integration der Alterungsrückstellungen der PPV nahe. Von einer „solidarischen Demografiereserve“ jedoch rate er ab. Sobald diese abgebaut sei, müsse der Beitragssatz sprunghaft auf das dann erforderliche Niveau steigen. Dies sei nicht nachhaltig. Zudem nehme der erforderliche Kapitalstock ein erhebliches Ausmaß von bis zu 230 Mrd. € an, das nur schwer vor (finanz)politisch motiviertem Zugriff zu schützen sei. Man könne keinen „Pflegeberg“ untertunneln, weil man keinen Berg, sondern ein „Hochplateau“ erwarte, so Rothgang.

 „Solidarität wirkt!“, schlussfolgerte Elisabeth Scharfenberg daraufhin. Beitragssatzsteigerungen seien für eine bessere Pflege unvermeidbar. Dafür sei ein Beitrag von ca. 3,2% bei deutlichen Leistungsverbesserungen jedoch eine moderate und zumutbare Belastung, so Scharfenberg. Sie sprach sich zudem für eine sehr genaue Prüfung der Einbeziehung der Alterungsrückstellungen aus. Nicht zuletzt seien die Ergebnisse zur Demografiereserve lehrreich. Die aufgezeigten Nachteile seien so gewichtig, dass die Grünen sich von diesem Modell verabschieden würden. Mit dem Konzept der Pflege-Bürgerversicherung, so Scharfenberg abschließend, „können wir eine bessere Pflege dauerhaft auf verlässliche, sichere und vor allem gerechte Art finanzieren.“

Im zweiten Teil kam es zu einer lebhaften und kontroversen Podiumsdiskussion, moderiert von Biggi Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. 

Ellen Paschke, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Ver.di, betonte in ihrem Statement, auch sie befürworte eine Bürgerversicherung. Es müsse aber auch dringend über die Ausgabenseite diskutiert werden. So habe Ver.di ein Gutachten beauftragt, in dem die Kosten der Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Vollkostenversicherung geprüft würden.

Dr. Volker Leienbach, Verbandsdirektor des PKV-Verbandes, will hingegen die Private PV als eigenständiges Versicherungssystem bewahrt sehen (s. Thesenpapier re. Spalte). Die kapitalgedeckte PPV sei im Gegensatz zum Umlageverfahren generationengerecht. Durch den Aufbau der Alterungsrückstellungen sei die PPV gut gerüstet, um die künftigen Alterungsprozesse zu schultern. Die geplante Einbeziehung der Rückstellungen sei für ihn ein Enteignungstatbestand. Die Verbeitragung aller Einkunftsarten, so Leienbach, werde nicht funktionieren. Die Bürgerversicherung verbessere nichts, so etwa bei der Pflege-Qualität oder der pflegerischen Rehabilitation.
Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), hielt dem entgegen, die Bürgerversicherung sei nicht nur ein Finanzierungskonzept, sondern sage etwas über die Notwendigkeit eines solidarischen Umgangs mit dem Thema Pflege an sich aus. Auch er sprach sich für eine eingehende rechtliche Prüfung der Integration der Alterungsrückstellungen aus, räumte aber ein, er sei eher weniger optimistisch, was die Chancen betreffe. Auch für die Einbeziehung anderer Einkunftsarten brauche man eine überzeugende Lösung, in der Aufwand und Nutzen in einem guten Verhältnis stünden. Bündnis 90/Die Grünen gingen aber einen Schritt in die richtige Richtung.

Heinz Rothgang machte daraufhin deutlich, die PPV beziehe ihre Vorteile vor allem aus der Selektion günstiger Risiken. Es gebe keinen Systemwettbewerb zwischen SPV und PPV. Die PPV stütze sich zudem auf lange Vorausberechnungen, die auf sehr unsicheren gegenwartsbezogenen Annahmen beruhten. Auch Thomas Ballast äußerte Zweifel, dass die PPV künftig ohne Prämiensteigerungen auskommen könne. Volker Leienbach bekräftigte, er verstehe nicht, warum die PPV durch ein System ersetzt werden solle, in dem die Beiträge steigen müssten. Elisabeth Scharfenberg griff den Terminus der „Enteignung“ auf und fragte, warum die Alterungsrückstellungen dann bei einem Wechsel innerhalb der PPV nicht grundsätzlich portabel seien. An der langfristigen Beitragsentwicklung in der Bürgerversicherung ändere es im Übrigen nichts, ob man die Rückstellungen einbeziehe oder nicht. Ellen Paschke betonte, es dürfe nicht bloß über den Beitragssatz diskutiert werden. Es brauche eine breite Debatte darüber, was der Gesellschaft ein Altern in Würde wert sei.

In ihrem kurzen Schlusswort fasste Elisabeth Scharfenberg zusammen, die grüne Bundestagsfraktion sehe sich bestätigt, nehme aber auch einige Aufgaben mit, so etwa eine Beschreibung einer umfassenden Strukturreform sowie alles für die Beteiligung an der nächsten Bundesregierung zu tun. Es sei, so Scharfenberg, zwar schlecht, dass Schwarz-Gelb an der Pflegereform gescheitert sei – andererseits aber auch beruhigend, weil sie zumindest das System nicht in die falsche Richtung steuerten.

 

Die grüne Bundestagsfraktion wird in den kommenden Wochen ein ausführliches Positionspapier zur Grünen Pflege-Bürgerversicherung beschließen und veröffentlichen.

Tags: Pressearchiv
« zurück