24-Stunden-Kräfte in privaten Haushalten
Der Titel war gewagt, aber treffend. Ca. 100.000 bis 150.000 illegale Arbeitskräfte, meist osteuropäische Frauen werden in deutschen Haushalten zur Betreuung und Pflege älterer Menschen eingesetzt. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen hängen für beide Seiten vom „good will“ der handelnden Personen ab. Das zeigte der Film-Einspieler über den anonymen Leo Müller, der für die Pflege seines Vaters 1400 Euro im Monat für eine illegale polnische Hilfskraft aufbrachte, mehr als üblich, um sein Gewissen etwas zu beruhigen. Strafbar hat er sich dennoch gemacht.
Hans-Werner Hüwel, Fachbereichsleiter Alten- und Krankenpflege und Mitbegründer der Caritas24 in Paderborn erzählt von den vielen Nachfragen nach häuslicher Rund-um-die- Uhr-Betreuung. Die Antwort wurde mit der Gründung der Caritas24, einer Vermittlungsagentur in Paderborn, die polnische Pflegekräfte in Haushalte vermittelt. Damit wird die Familie des Pflegebedürftigen zum Arbeitgeber und dies sei der einzige legale Weg, um zu Hause die Pflege zu managen. Die Caritas24 sucht zusammen mit den Partnern in Polen nach passenden Kräften, die für 1 Jahr einen Arbeitsvertrag mit der Familie schließen. Die Gehaltsabrechnung übernimmt die Caritas24 gegen Gebühr und kümmert sich um den Sprachkurs und die Sicherung von Mindeststandards. Bedingung ist der wöchentliche Hausbesuch durch den Caritas-Pflegedienst. Eine polnisch Sprechende Caritas-Mitarbeiterin steht als Ansprechpartnerin für die Pflegekraft und für die Familie bereit. Urlaubszeiten und Krankheitszeiten können mit Tagespflege abgedeckt werden. Etwa die Hälfte der Familienanfragen lehnt die Caritas24 wegen mangelnder Bedingungen und falscher Vorstellungen ab. Der Tarifvertrag sichert der Hilfskraft ein Bruttoeinkommen von ca. 1400€ zzgl. Unterkunft und Verpflegung, was aber Nicht ausbezahlt wird. Die Gesamtkosten für die Familie/Pflegeperson belaufen sich auf ca. 1900€. Herr Hüwel betonte, dass dieses Modell auf keinen Fall die grundlegenden Versorgungsprobleme in der Pflege löst, es ist mehr eine „Übergangslösung“.
Die Pflegeexpertin Elisabeth Scharfenberg, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, blickt als Sozialarbeiterin auf ihre konkrete Betreuungserfahrung zurück. Seit 6 Jahren ist sie für Pflegepolitik zuständig. Sie betonte, dies sei die erste Veranstaltung zu illegaler Beschäftigung in der Pflege, zu der sie eingeladen wurde. Ihr Vortrag griff die strukturellen Probleme in der Pflege in Thesen auf.
In der Debatte wurde deutlich, dass für die hier und heute betroffenen Familien ein Patchwork an Hilfen benötigt wird, je nach Standort mehr oder weniger zur Verfügung steht. Viele Betroffene wissen aber nicht, wo welche Hilfe und Unterstützung erhältlich ist. Folgende „konzentrischen Unterstützungskreise“ können aktiviert werden:
1. Familie, Nachbarschaft, Freunde
2. Organisierte Nachbarschaftshilfen;
Vereins- und Kirchenstrukturen mit Gruppenangeboten, Seniorenkreise
3. Haushaltshilfe
4. Laienhelfer für Demenzkranke Personen
5. Seniorenbegleiter
6. Mobile Wohnberatung
7. ambulante Dienste: Pflege, Ergotherapie, Physiotherapie...
8. Tagespflege; Kurzzeitpflege; Pflegehotel
9. Entlastungsgesprächsgruppen für Angehörige
10. Pflegezeit: „Auszeit vom Beruf“
11. „Unterstützte Selbsthilfegruppe“ für Demenzkranke
Durch die zahlreichen Redebeiträge des Publikums wurde schnell deutlich, dass Betroffene die Situation der Illegalen kennen und kritisieren, dass die Informationen über das bestehende Hilfenetz nicht ausreichend beim „Verbraucher“ ankommen und dass Fachkräfte mit der Vermittlungsfrage nach legalen Hilfs- und Pflegekräften in der Region Göttingen nur auf die Zentrale Arbeitsvermittlung (ZAV) der Arbeitsagentur in Bonn verweisen können. Auch der Verein Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen berichtet, dass Menschen mit Handicaps bei einer Rund-um-die-Uhr-Assistenz zur realistischen Abdeckung der Zeit vier Assistenzkräfte bräuchten und das kostet ca. 11.500€ im Monat.
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Stiftung Leben & Umwelt / Heinrich Böll Stiftung Niedersachsen und dem VNB statt. Organisiert und moderiert wurde sie von Regina Meyer von der Mobilen Wohnberatung Südniedersachsen.Eine Weiterführung des Themas ist für 2012 geplant.