Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Eine Frage der Selbstbestimmung

Interview im "The European Circle"

04.03.2011

Quelle: The European Circle, 02.03.2011

Nachdem Elisabeth Scharfenberg im hessischen Rüsselsheim aufgewachsen ist, studierte sie Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Berlin-Schöneberg und arbeitete lange Jahre als freiberufliche Betreuerin. Seit 1999 ist sie Mitglied der Grünen in Oberfranken. Über die Landesliste zog sie schon 2005 in den Bundestag ein und ist dort Mitglied im Gesundheitsausschuss sowie Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik der Grünen. Auch der demographische Wandel gehört zu ihrem Themenspektrum. In der Nähe von Hof lebt die 47-Jährige mit ihrem ebenfalls politisch aktiven Mann und vier Töchtern. Unser Bundestags-Korrespondent Philipp Sälhoff traf sie zum Gespräch.

Eine berufstätige und vierfache Mutter als lebenspraktisch zu bezeichnen wäre Hohn. Doch gerade in den parlamentarischen Gefilden überrascht Elisabeth Scharfenberg mit ihrer erfrischenden Art und den häufigen Bezügen auf ihr privates Umfeld. Ein Gespräch über die Zukunft der Organspende, den Ruf der Grünen als Dagegenpartei und innerfamiliäre Parteigrenzen.

European Circle: Sie haben das Westberlin der 80er Jahre, eine recht bewegte Zeit, als studierende Mutter mit drei Töchtern erlebt. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Scharfenberg: Eine ganz große Liebe zu Berlin. Es ist für mich nach wie vor ein Stück Heimat. Ich habe hier 8 Jahre gelebt, meine drei großen Töchter sind hier geboren, ich habe hier studiert, meinen Mann kennengelernt und immer noch viele Freunde in der Stadt. Ich hätte damals nicht für möglich gehalten, dass ich nochmal in einer ganz anderen Mission und ohne meine Familie hierher zurückkehre.

European Circle: Wie haben Sie sich damals finanziert?

Scharfenberg: Mein Mann hat gearbeitet, der war Freiberufler und konnte sich sehr gut um die Kinder kümmern. Auch die nahe Kindertagesstätte mit Krippe hat mein Studium möglich gemacht.

European Circle: Ist es richtig, dass Sie Taxi gefahren sind?

Scharfenberg: Ja, das stimmt [lacht].

European Circle: Das heißt, Sie können dem Bundestagsfahrdienst auch heute noch Tipps aus dem Rücksitz geben?

Scharfenberg: Nur im Westteil. Wir sind ein Jahr nach dem Mauerfall aus Berlin weggezogen, also bin ich nie im Ostteil Taxi gefahren. Ich habe aber auch viel vergessen.

European Circle: Ihr Mann, den Sie ja auch in Berlin kennengelernt haben, ist Vorsitzender eines örtlichen SPD-Bezirks. Wie wird das rot-grüne Revival bei Ihnen am Frühstückstisch diskutiert?

Scharfenberg: Es entspannt uns. Wir sind gelebtes rot-grün: zwei meiner Töchter sind aktive Jusos, meine große Tochter ist bei den Grünen. Nur unsere jüngste Tochter, die am meisten unter unseren politischen Aktivitäten “gelitten” hat, möchte damit nichts zu tun haben.

European Circle: Welche Themen sind denn da besonders konfliktreich?

Scharfenberg: Zu rot-grünen Zeiten waren die Debatten entspannter, weil man ein gemeinsames Ziel vor Augen hatte. Zu Zeiten der großen Koalition wurde es dann kontroverser. Aber wir reden ja nicht nur über Politik zu Hause, wenngleich sie Teil unseres Lebens ist.
Aber es gibt natürlich Punkte, an denen es auseinander geht, wie die Debatte um die Rente 67 aus der sich die SPD rausschleicht. Also wenn man sich von rot-grünen Dingen verabschiedet.

Ich bin dort gegen jede Form von Zwang

European Circle: Der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder forderte, dass man sich einmal im Leben für oder gegen die Organspende entscheiden soll. Das wird nun kontrovers diskutiert. Muss man ihm da nicht dankbar sein, dass er diese Diskussion wieder angestoßen hat?

Scharfenberg: Es ist eine wichtige Debatte, die aber weg von der Polemik muss, das ist die falsche Richtung. Das hört sich natürlich erstmal gut an: “Jeder sollte sich einmal im Leben zur Organspende äußern, mit Ja oder Nein.”

European Circle: Oder mit einer Enthaltung.

Scharfenberg: Die Enthaltung wäre ja, sich nicht mit der Frage zu befassen.

Ich bin absolut für die Organspende, habe auch selber einen Organspendeausweis und ich bekenne mich auch dazu. Aber ich denke, dass es auch eine Frage des Selbstbestimmungsrechtes ist, wie, ob und vor allem an welchem Ort man sich damit auseinandersetzt. Und da liegt der Hase im Pfeffer.

Herr Kauder äußerte da ja sehr diffuse Ideen, etwa dass man sich vorstellen könnte, das bei der Führerscheinstelle zu tun. Und da geht es in Unverantwortliche.

Wenn ich mir allein meine Meldebehörde vorstelle: Ich habe da irgendwas zu tun und bekomme nebenbei noch einen Organspendeausweis zugeschoben. Da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Wir brauchen in dieser Debatte eine unglaublich gute Aufklärung. Die Menschen haben Ängste und die sind nicht irrational. Die muss man ernst nehmen und auf sie eingehen.
Es gibt die Angst, dass ich als Organspender im Notfall nicht richtig versorgt werde, weil andere Interessen da sind. Ob das so ist oder nicht, steht auf einem anderen Blatt.

Das Thema muss in die Familien, denn letztendlich sind es ja die Angehörigen, die sich damit befassen müssen. Denn wenn ich mich heute zur Organspende bekenne und einen Verkehrsunfall habe und dann als Organspenderin im Krankenhaus auf dem Tische liege, muss meine Familie damit umgehen. Wenn jemand Organe spendet, gibt es ein anderes Prozedere nach dem Tod. Die Organe müssen so schnell wie möglich transplantiert werden.

European Circle: Die Vorschläge wurden ja auch in einem Interview getätigt, es war kein ausformulierter Gesetzentwurf. Die Idee ist, dass junge Menschen, die geschäftsfähig sind, wählen gehen und arbeiten, sich damit auseinandersetzen müssen. Ist denen bei entsprechender Vorbereitung, die in die Familien und in die Schule hereingetragen wird, so eine Entscheidung nicht zuzumuten?

Scharfenberg: Aber sie wird ja nicht hereingetragen.

European Circle: Vorausgesetzt, das wird sie.

Scharfenberg: Wenn das so ist... ja. Eine Auseinandersetzung ist den jungen Menschen schon zuzumuten, aber es muss eine qualifizierte sein. Es braucht Informationen und die werden in der Führerscheinstelle nicht gegeben.

Meine Tochter macht zum Beispiel gerade den Führerschein und meinte auch, dass sie das an dieser Stelle nicht gut finden würde. Nicht weil sie sich nicht mit dem Thema befassen würde, sondern weil sie die Stelle als unpassend empfindet.
Wenn ich auf der Straße mit Leuten über Organspende spreche, denken die an Nieren, vielleicht Leber, Lunge und Herz. Dann ist Ende. Aber Organspenden beinhaltet viel mehr, Gewebe, Netzhaut etc. Die Debatte wird dem nicht gerecht. Meine Tochter hat mir da auch ganz klar gesagt, sie wäre bereit Organe zu spenden, aber z.B. nicht ihr Herz. Solche Dinge müssen ernst genommen werden und das läuft in der Diskussion über Herrn Kauder zu polemisch ab.

European Circle: Haben Sie einen besseren Vorschlag für den Ort der Abfrage oder haben Sie prinzipiell ein Problem mit der kollektiven Abfrage?

Scharfenberg: Ja, damit habe ich ein Problem, denn das geht in das Selbstbestimmungsrecht hinein und es läuft darauf hinaus, dass ich mich äußern muss.

European Circle: Auch wenn die Option der Nichtbeantwortung besteht?

Scharfenberg: Ich bin da gegen jede Form des Zwanges, denn es kann passieren, dass in dieser Situation unter diesem moralischen Druck, Entscheidungen getroffen werden, die man sonst vielleicht ganz anders getroffen hätte.

European Circle: In Ländern wie Spanien, in denen es die Widerspruchslösung gibt, die besagt dass bei nicht erfolgtem Widerspruch zu Lebzeiten Organe entnommen werden dürfen, ist die Transplantationsquote höher.

Scharfenberg: Die Widerspruchslösung als Begründung liegt natürlich nahe, aber die Spanier selber führen die hohe Quote auf die bessere Information zurück und nicht auf die Widerspruchslösung. Die haben ein sehr gutes Netzwerk mit Koordinatoren und Transplantationsbeauftragten.
Auch wenn sie die Widerspruchslösung haben, wird diese eigentlich nicht praktiziert. Denn in dem Fall, dass der Verstorbene nicht widersprochen hat, werden trotzdem die Angehörigen gefragt.

Wir sind auch immer für etwas

European Circle: Wann waren Sie zum letzten Mal auf www.csu.de?

Scharfenberg: Da war ich noch nie [lacht].

European Circle: Sind Sie mit dem Spot über das Männlein im Walde vertraut?

Scharfenberg: Das habe ich mir bei YouTube angesehen.

European Circle: Trifft der Spot nicht einen wahren Kern? Stuttgart 21, Olympia 2018 und der Berliner BBI-Flughafen, der in seiner Ausrichtung durch Renate Künast auch schon infrage gestellt wurde, wären ja solche Beispiele.

Scharfenberg: Das sehe ich vollkommen entspannt und unproblematisch. Das ist verzweifeltes Ringen nach Aufmerksamkeit der CSU.

European Circle: Abgesehen von der Machart des Spots.

Scharfenberg: Ich sehe da auch keine Grundlage. Sicher sind wir gegen Dinge, aber wir haben auch immer gute Vorschläge. Wir sind auch immer für etwas. Genauso ist ja auch bei der CSU.

Es wird da eine Polemik bedient und es läuft sich auch tot. Ich hatte letzthin einen Anruf von meiner Mutter, die nicht unbedingt Grüne ist, die sich aber auch gefragt hat, warum die CSU in jeder Rede von der Dagegenpartei spricht.
Andererseits sind wir ja im Moment zweitstärkste Kraft in Bayern, da muss man schon dagegen arbeiten.

European Circle: Wie stehen Sie zu München 2018?

Scharfenberg: Schwierige Frage. Ich kann die Argumente von beiden Seiten gut nachvollziehen.
Auf der einen Seite gibt es die, die sagen, dass es die grünsten Spiele aller Zeiten werden, wenn wir mitmachen. Auf der anderen Seite gibt es immer die Leute, die sagen, dass so was gar nicht grün sein kann.
Ich sehe das natürlich auch aus der nordbayerischen, aus einer strukturschwachen Warte. Für uns bedeutet das, dass viele Gelder nach Garmisch und München fließen, die uns dann wieder fehlen. Wir zahlen mit und in der fränkischen Region steht uns das Wasser eh schon bis zum Halse. Von daher sehe ich das sehr kritisch.

European Circle: Obwohl sechs Prozent Arbeitslosigkeit für andere Regionen in Deutschland noch erstrebenswert wären.

Scharfenberg: Ja, aber meine Region ist eine aussterbende Region. Die jungen Leute gehen weg und kommen nicht zurück, weil es keine Arbeitsmöglichkeiten gibt und die alten sterben.

Unser Rektor forderte uns zu Straßenblockaden auf

European Circle: Zurück zu den Großprojekten. In Ihrem Wahlkreis wurde die Fichtelgebirgsautobahn durch eine Bürgerinitiative verhindert. Wie haben Sie diese Bewegung begleitet?

Scharfenberg: Über Jahre hinweg haben wir die flankiert. Als Grüne haben wir uns wie der Bund Naturschutz von Anfang an dazu bekannt und an einem Strang gezogen. Wir haben an den entsprechenden Stellen unsere parlamentarischen Initiativen und Anfragen gestellt.

European Circle: Sie sind in Rüsselsheim aufgewachsen und waren in der Protestbewegung gegen die Flughafenerweiterung in Frankfurt engagiert. Was hat sich im Bürgerprotest seit den Tagen der Startbahn-West-Bewegung getan?

Scharfenberg: Die Startbahn-West-Bewegung war meine Initialzündung, politisch zu denken. Ich war 15 und auf einer Schule, die Bürgerengagement sehr gefördert hat. Als etwa dieses Hüttendorf im Wald geräumt werden sollte, hat unser Rektor die Schülerschaft aufgefordert, die Straße zu blockieren und zu zeigen, dass es so nicht geht. Da gab es dann auch einen Kulturschock als ich nach Bayern gezogen bin und meine Töchter hier zu Schule gingen, denn da ist das Schulsystem heute noch restriktiver als zu meinen Schulzeiten in Hessen.

Das war damals sehr engagiert und zusammenschweißend. Ich glaube, dass es sehr viele politisiert hat, glaube aber auch, dass es danach ruhiger geworden ist, zumindest bei den großen Bürgerinitiativen. Im Kleinen gab es das immer. Mich freut es schon, dass es in letzter Zeit ein Revival der Bürgerinitiativen gibt. Atomkraft, Genfood, Stuttgart 21. Auch gerade, dass Leute mitmachen, die von der CSU dort gar nicht verortet werden würden, wie Rentner und Bauern. Das wirkt auch aktiv gegen die Politikverdrossenheit.

European Circle: Als gebürtige Hessin haben Sie da ja hoffentlich noch eine gebührende Distanz zur Problematik: Erklären Sie doch bitte mal dem Rest der Republik, was es mit dieser ewigen Rivalität zwischen Franken und Bayern auf sich hat.

Scharfenberg: Das ist eine ganz alte Geschichte, Franken wurde vor 200 Jahren vom König eingekauft. Die Franken sind quasi die eingekauften Neu-Bayern. Das sehen die Franken nicht ein und wünschen sich immer noch ihre Unabhängigkeit. Dazu kommt, dass die Franken sich vom altbayerischen Teil des Freistaates finanziell und strukturell abgehängt fühlen. Was ja auch wirklich so stattfindet.

Ich als zugezogene Neu-Fränkin, auch wenn ich schon 20 Jahre dort lebe, beobachte das immer mit einem Schmunzeln, wenn gerade auch junge Franken das noch gerne ändern würden.

European Circle: Aus der CSU kennt man ja die innerparteilichen Verteilungskämpfe zwischen Franken und Bayern. Wie sieht das im Grünen-Landesverband aus?

Scharfenberg: Dort gibt es das nicht, aber in der CSU spielt es eine Rolle. Da gibt es richtigen Regionalproporz.

Elisabeth Scharfenberg hielt sich nicht lange an unseren Kurzfragen auf. Die Antworten im Schnelldurchgang:

1. Was ist Ihr Lieblingsplatz, wenn Sie in Berlin sind?
Mein Balkon.

2. Was ist ihr Lieblingsplatz, wenn Sie in Ihrem Wahlkreis sind?
Meine Joggingstrecke.

3. Mit wem streiten Sie sich am liebsten?
Mit meinem Mann und meinen Töchtern.

4. Wann sollte man Ihnen lieber nicht begegnen?
Vor dem ersten Kaffee am Morgen.

5. Wie stellen Sie sich Ihr Leben nach der Politik vor?
Entspannter, selbstbestimmter und aktiver.

6. Wenn Sie eine außerparlamentarische Tätigkeit hervorheben müssten, welche wäre das?
Die Mitwirkung an kulturellen Veranstaltungen.

7. Welches Ressort könnte das Kabinett noch gebrauchen?
Pflege.

8. Nennen Sie ein politisches Vorbild außerhalb der eigenen Partei?
Joachim Gauck.

9. Europas größtes Problem?
Die Globalisierung und ihre Folgen.

10. Wo sehen Sie die EU in 50 Jahren?
Finanzsaniert und erweitert.

Tags: Pressearchiv
« zurück