Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Leserbrief

Leserbrief zum Artikel von Tanja Kotlorz

26.02.2009

Sehr geehrte Damen und Herren, der deutliche Rückgang der Organspenden im Jahr 2008 um ca. 9% in Deutschland ist äußerst beunruhigend. Ganz zweifellos muss gehandelt werden, um den ca. 12.000 Menschen in Deutschland zu helfen, die dringend auf ein Spenderorgan warten.

Die renommierten Berliner Transplantationsmediziner Prof. Hetzer und Prof. Neuhaus fordern daher die Verankerung der Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz. Jene also, die einer Organspende zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprechen, sollen automatisch als Spender gelten. Diese Forderung aber wird auch aus dem Munde zweier sehr verdienter Mediziner und auch durch stete Wiederholung nicht überzeugender.

Wir Grüne plädieren nachdrücklich für die Beibehaltung der erweiterten Zustimmungslösung, nach der die Spenderin/ der Spender bzw. die Angehörigen einer Organspende ausdrücklich zustimmen müssen. Für uns steht das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger - auch über das Lebensende hinaus -an erster Stelle. Es geht hier um eine sehr individuelle, sehr persönliche und sehr schwierige Entscheidung einer/ eines jeden Einzelnen. Dies gilt es zu respektieren.

Die Sorgen Prof. Hetzers und Prof. Neuhaus’ sind verständlich. Ich möchte sie dennoch um eine dem Thema angemessene Tonart bitten. Die Widerspruchslösung sei menschlicher und man müsse "etwas für das Leben tun", so Prof. Hetzer. Dass er damit den Befürwortern der Zustimmungslösung - wie etwa mir - unterstellt, sie seien unmenschlich und gegen das Leben, mag unbeabsichtigt sein. Dennoch ist diese Botschaft fragwürdig. Der Vorwurf Prof. Neuhaus’ des "mangelnden Bürgersinns" hingegen ist unverschämt und zeugt von äußerst wenig Sensibilität für den ethischen Gehalt dieser Debatte. Herr Neuhaus legt mit seiner Äußerung nahe, so wie Steuerhinterziehung gebe es auch "Organhinterziehung". Als gebe es eine Pflicht zur Organspende, der sich nur manche Bürger unwillig und aus lauter Gemeinheit entzögen. Ebenso könnte man den Herren Hetzer und Neuhaus unterstellen, es ginge ihnen nicht um die Betroffenen, sondern um ihre Pfründe, die sie dahinschwinden sehen. Wir sind uns sicherlich einig, dass wir diese heikle Debatte nicht auf einem solch niedrigen Niveau führen sollten.

Ich möchte zudem darauf aufmerksam machen, dass die Widerspruchslösung entgegen häufiger Behauptungen nicht automatisch zu mehr Organspenden führt. Das zeigen auch internationale Vergleiche. So weist beispielsweise Irland mit einer Zustimmungslösung mehr Organspenden auf als Ungarn, wo die Widerspruchslösung gilt. (Kein Land übrigens weist meines Wissens, wie Prof. Hetzer behauptet, dreimal so hohe Spenderzahlen auf wie Deutschland.)Auch in Spanien, das die weltweit höchsten Spenderzahlen aufweist, führen Experten den Erfolg nicht auf die dort geltende Widerspruchslösung zurück. Entscheidend sind vielmehr die sehr gute und professionelle Koordinationsarbeit und die finanziell gute Ausstattung des Systems.

Der Rückgang der Organspenden ist ein Zeichen dafür, dass alle Akteure, Politik, Ärzteschaft, Kliniken und Krankenkassen, viel mehr dafür tun müssen, Vertrauen gegenüber der Organspende auf- und Ängste abzubauen. Dies geht nur über kontinuierliche und sehr behutsame Aufklärung.

Ich halte die Optimierung der derzeitigen Strukturen für vordringlich, um die Zahl der Organspenden und Transplantationen zu erhöhen. Was nützt die Widerspruchslösung, wenn ein/e potenzielle/r Organspender/in von der Klinik vor Ort nicht an die Koordinierungsstelle gemeldet wird? Hier besteht Handlungsbedarf, etwa in Form einer Konkretisierung der Meldepflicht im Transplantationsgesetz, in Form von mehr qualifizierten Transplantationskoordinatoren und durch die Förderung der Zusammenarbeit aller Akteure.

Dass es anders geht, zeigt aktuell das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort sind Kliniken mit Intensivbetten seit 2008 verpflichtet einen Transplantationsbeauftragten bereitzustellen. Unter anderem dies hat dazu geführt, dass NRW das einzige Land war, in dem 2008 die Zahl Organspenden stieg - ohne Widerspruchslösung.

Abgesehen vom Rückgang in 2008 hat aber zum Beispiel auch das Land Mecklenburg-Vorpommern in den letzten Jahren viel erreicht. Dort ist durch professionelle Strukturen, eine gute Koordination und Kooperation aller Akteure schon ein beinahe "spanisches" Niveau bei den Spenderzahlen erreicht worden - ebenfalls ohne Widerspruchslösung.

Bevor also Debatten von höchster ethisch-gesellschaftspolitischer Relevanz losgetreten werden, sollten wir gemeinsam überlegen, wie wir das derzeitige System verbessern können.

Mit freundlichen Grüßen Elisabeth Scharfenberg

Mitglied des Deutschen Bundestages Mitglied im Ausschuss für Gesundheit

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