Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Offener Brief zum Tornadoeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan

Am 9.03. entscheidet der Bundestag, ob sich deutsche Streitkräfte mit Tornadoaufklärungsflugzeugen am Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) beteiligen.

09.03.2007

Am 9.03.2007 entscheidet der Bundestag, ob sich deutsche Streitkräfte mit Tornadoaufklärungsflugzeugen am Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) unter Führung der NATO beteiligen. In der Bundestagsfraktion haben wir darüber mehrfach ausführlich diskutiert. In den Kreisverbänden läuft eine kontroverse Debatte. Uns haben einige Schreiben von den bayerischen Kreisverbänden erreicht. Danke für die - unterschiedlichen - Reaktionen.

Wir sind uns einig, dass Afghanistan weit mehr als bisher zivile Unterstützung braucht. Im vergangenen Jahr hat sich die Lage dramatisch verschlechtert, nach ermutigenden Aufbauerfolgen in den Jahren zuvor. Die afghanische Regierung ist zu schwach, um Einfluss auf alle Provinzen des Landes zu nehmen; Korruption greift um sich. Es fehlt an einem schlüssigen Konzept zur Drogenbekämpfung. Besonders problematisch: Die Taliban haben sich mit Unterstützung aus Pakistan reorganisiert und destabilisieren besonders den Süden und Osten des Landes. Verschärfend wirkt die kontraproduktive Operationsführung von Operation Enduring Freedom (OEF), deren Mandatsverlängerung die grüne Fraktion im November letzten Jahres mehrheitlich nicht zugestimmt hatte. Die Situation droht zu eskalieren.

Für eine friedliche und demokratische Entwicklung in Afghanistan muss sich dringend etwas ändern; es geht um einen Strategiewechsel. Wir brauchen eine zivile Offensive! Der Parteirat der Bundespartei Bündnis 90/Die Grünen hat am Montag, den 5.03.2007 den Beschluss der Kölner Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) vom Dezember noch einmal bekräftigt, er findet sich auch im Entschließungsantrag der Bundestagsfraktion wieder. Die Bundesregierung hat die Aufstockung des Budgets für den zivilen Aufbau um 20 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Dieser Schritt ist richtig, reicht aber bei weitem nicht aus. Die Hilfe muss viel besser strukturiert und koordiniert werden. Deutschland hat die Verantwortung für den Aufbau der Polizei in Afghanistan übernommen. Für einen Erfolg müssen die derzeit 42 im Land befindlichen Ausbilder mindestens verdreifacht werden. In Afghanistan müssen weiterhin Schulen, Krankenhäuser und Straßen gebaut werden. Nur durch sichtbare Fortschritte kann die internationale Gemeinschaft die Köpfe und Herzen der Menschen in Afghanistan dauerhaft für die Demokratie gewinnen.

Wir wollen, dass die Menschen in Afghanistan wieder einen friedlichen Alltag leben können. Das ist eine große Verantwortung. Wir können nicht ignorieren, dass sich Afghanistan in einer Situation befindet, in der zivile Maßnahmen allein nicht zum Erfolg führen können. Auch die BDK in Köln hat sich zur Notwendigkeit militärischen Engagements bekannt. Besonders im Süden und Osten muss Stabilität auch mit militärischen Mittel herbeigeführt werden, um zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermöglichen. Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Absicherung des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Hierin besteht der Auftrag der Tornados, die durch ihre Aufklärungsfähigkeit einen spezifischen Beitrag für Schutz und Sicherheit leisten können.

Einige befürchten, dass die Tornados umgerüstet und zur "Luftnahunterstützung" eingesetzt werden - dazu sind die Tornados kaum geeignet und dies würde auch klar dem Mandat widersprechen. Die Tornados sind unter der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe unter Führung der Nato (ISAF) eingesetzt. Hier hat Deutschland über die NATO Mitspracherecht und kann den grundlegenden Strategiewechsel mit herbeiführen, der inzwischen auch in der NATO als notwendig anerkannt ist.

Winni Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion (der angekündigt hat, dem Mandat nicht zuzustimmen), fasst in seinem Beratungspapier zusammen: "Vor dem Hintergrund der Gesamtverantwortung für Afghanistan und einer solidarischen Lastenteilung könnten die Tornado-Aufklärer im Rahmen einer aussichtsreichen, tatsächlich Gewalt eindämmenden Militärstrategie und einer ausgewogenen Afghanistan-Politik insgesamt Sinn machen." Es kommt also darauf an, innerhalb der NATO darauf zu dringen, eine solche Gewalt eindämmende Militärstrategie zu forcieren und die zivilen Anstrengungen zu vervielfachen, um zu einer ausgewogenen Afghanistan-Politik zu kommen. Wir werden die Bundesregierung als Fraktion dazu drängen. Hierzu ist auch öffentlicher Druck erforderlich.

Unter uns Grünen gibt es ernsthafte Zweifel daran, ob der Tornadoeinsatz tatsächlich dazu beiträgt die afghanischen Regierung zu stabilisieren und zu unterstützen. Oder ob er nicht im Gegenteil eine kontraproduktive Strategie in Afghanistan fortsetzt. Dies ist die Ursache für die unterschiedlichen Meinungen und Einschätzungen in der Bundestagsfraktion. Die Differenzen um die Tornados sollten nicht überdecken, was unter uns Grünen gemeinsame Basis ist. Einstimmig beschlossen Bundesvorstand und Parteirat, dass es nicht um eine Exit-Strategie geht, sondern um eine Erfolgsstrategie in Afghanistan; dass es nicht um das Ob eines militärischen Beitrags zum Aufbau in Afghanistan geht, sondern um das Wie.

Unsere Meinungsbildung um den Tornadoeinsatz verliefe eindeutiger, würden die Bundesregierung und die NATO insgesamt klar demonstrieren, dass sie den seit dem NATO-Treffen in Riga viel beschworenen Strategiewechsel in Afghanistan tatsächlich praktizieren. Ohne wesentlich mehr Mittel für den zivilen Aufbau - für Infrastruktur, Polizei und Justiz, für Bildung, für Alternativen zur Drogenökonomie - wird am Ende der effektivste Militäreinsatz den Kampf für eine zivile Entwicklung verlieren.

Die wieder erstarkten Taliban haben für das Frühjahr eine Offensive angekündigt. Schon jetzt gehen 100 000 Kinder aus Angst nicht mehr zum Unterricht, die in den vergangenen Jahren wieder die Schule besucht hatten. 2006 und bis heute wurden fast 200 Schulen von den Taliban zerstört, zuerst trifft es immer die Mädchenschulen. Die Angriffe auf Frauen nehmen permanent zu. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung war die Ermordung der Frauenbeauftragten der Provinz Kandahar im September 2006. Grüne vor Ort, wie Tom Königs, UN-Sonderbeauftragter für Afghanistan, und der afghanische Außenminister Rangin Spanta, der sich während seines deutschen Exils im KV Aachen den Grünen anschloß, haben mehrmals ihre Befürchtung betont, dass ohne verstärkten Militäreinsatz angesichts der Bedrohung durch die Taliban bereits Erreichtes wieder verloren gehen könnte.

Friedenspolitik ist ein Grundwert unserer Partei und auch mein persönlicher. Ausgangspunkt meines politischen Engagements war und ist der Einsatz für Frieden und Menschenrechte. Beides gehört untrennbar zusammen und war immer Teil unserer grünen Debatte um den Einsatz militärischer Mittel. Gerade in Afghanistan haben wir eine große Verantwortung, auch wegen der hohen Anerkennung des deutschen Engagements bei der Bevölkerung. Trotzdem wird ein Teil der grünen Fraktion mit nein stimmen. Auch darin kommt unsere gemeinsame Haltung zum Ausdruck, dass ohne Strategiewechsel und deutlich mehr ziviles Engagement keine Erfolge in Afghanistan erzielt werden können. Die grüne Fraktion spricht sich mit großer Mehrheit jedoch nicht gegen militärisches Engagement aus. Über das Gesamt-Mandat für die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) wird im Herbst 2007 im Bundestag neu entschieden.

Ich werde am Freitag, den 9. März 2007 dem Einsatz nach all den beschriebenen Erwägungen zustimmen. Auch meine Entscheidung ist eine Gewissensentscheidung. Ich werde nicht taktisch abstimmen, sondern sagen klar: Der zivile Aufbau Afghanistans hat nur eine Chance, wenn er militärisch abgesichert erfolgt und für die Menschen in Afghanistan sicherere Lebensperspektiven eröffnen kann, so wie es im entsprechenden Entschließungsantrag der Fraktion formuliert ist, den ich beilege.

Mit freundlichen Grüßen, Elisabeth Scharfenberg

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