Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Menschenwürdige Pflege zuhause - wo immer dieses Zuhause ist

Pflegepolitische Sprecherin Scharfenberg will demographischen Wandel aktiv gestalten

24.01.2007

Anlässlich der Veranstaltung "Leben im Alter - Oberfranken muss sich dem demographischen Wandel stellen" der Coburger Grünen am 24.1. in Coburg erklärt Elisabeth Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen:

"Von einer Vergreisung unserer Gesellschaft und einem Kampf der Generationen zu reden ist reine Panikmache. Wohlstand und Lebensqualität in unserem Land sind nicht zwangsweise an die Größe der Einwohnerzahl gebunden. Allerdings müssen wir als Gesellschaft endlich auf die Folgen des demographischen Wandels für die Sozialsysteme, den Arbeitsmarkt und das Schulwesen reagieren. Die Stadt Coburg ist vom demographischen Wandel besonders betroffen. Zusammen mit Bamberg, Hof und Bayreuth weist Coburg im bayerischen Vergleich die höchsten Zahlen an Senioren-Haushalten auf.

Dabei ist der Umstand, dass die Menschen heute älter werden Anlass zur Freude. Er ist das Ergebnis eines Lebens in Frieden, eines gestiegenen Gesundheitsbewusstseins, besserer Ernährung und des medizinischen Fortschritts. Also eine zivilisatorische Leistung, auf die wir stolz sein können. Zudem sind ältere Menschen heute, wenn es um das "gefühlte" Alter geht, jünger als je zuvor. Sie sind gesünder, aktiver, zahlungskräftiger und anspruchsvoller. Das Alter wird bei stabiler Gesundheit zunehmend nicht als Last, sondern als Chance begriffen. Ältere Menschen haben damit auch andere Anforderungen an das Leben im Alter.

In unserer älter werdenden Gesellschaft ist das Thema Pflege eine der zentralen gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Aus diesem Grund hat die grüne Bundestagsfraktion als erste Fraktion ein umfassendes Reformkonzept mit dem Titel "Pflege menschenwürdig gestalten" vorgelegt.

Die starre Zweiteilung zwischen ambulanter und stationärer Pflege ist überholt. Eine überwältigende Zahl von Menschen will in den eigenen vier Wänden altern und gepflegt werden. Das zeigt, dass Altenheime nicht als Ort, an denen Menschen sich geborgen und heimisch fühlen, angesehen werden. Dies schafft große Ängste. Deshalb muss unser pflegepolitisches Ziel lauten: Menschenwürdige Pflege zuhause" - wo immer dieses Zuhause ist. Hier muss ein Umdenken einsetzen. Jedes Wohnumfeld für ein Leben im Alter, ob mit oder ohne Pflege, soll als "Zuhause" empfunden werden können. Dies kann ein Heim, die eigene Wohnung, eine Wohngruppe oder auch eine Hausgemeinschaft sein. Außerdem muss die ambulante Pflege auch finanziell gestärkt und der stationären gleichgestellt werden. Anstatt des heutigen Systems mit drei Pflegestufen setze ich mich für Modelle mit fließenden Übergängen.

Das Pflegesystem und seine Angebote und Leistungen sind für die meisten Menschen ein undurchschaubarer Dschungel. Wir müssen den Betroffenen und ihren Angehörigen Hilfe dafür anbieten, sich im System zurechtzufinden und die richtigen Leistungen zu bekommen.

Wir brauchen nicht zuletzt wirksame Entlastungsangebote für pflegende Angehörige. Denn noch sind die Familien, vor allem die Töchter und Schwiegertöchter, der "Pflegedienst der Nation". Künftig müssen Angebote in der Pflege viel flexibler werden und sich besser an die jeweilige familiäre Situation anpassen. Wir müssen diese Angebote, wie etwa im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen, bekannter machen und auch für eine höhere Zahlungsbereitschaft werben. Wir brauchen einen intelligenten "Pflege- und Hilfe-Mix" aus professioneller, familiärer und ehrenamtlicher Pflege.

Aufzuhalten ist der demographische Wandel nicht. Wenn wir ihn aber in Zukunft abfangen wollen, brauchen wir eine Familienpolitik, die das Leben mit Kindern nicht die Ehe mit Trauschein fördert. Das neue Elterngeld der großen Koalition ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings ist es der zweite Schritt vor dem ersten. Denn nach dem ersten Jahr stehen die jungen Eltern ohne Betreuungsangebote da. Gleichzeitig endet die finanzielle Unterstützung.

Daher treten wir Grüne für einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung für Kinder ab einem Jahr ein. Zudem ist das Elterngeld, anders als das Erziehungsgeld, einkommensunabhängig. Das heißt, auch sehr wohlhabende Eltern erhalten das Elterngeld, während die Kürzung der Bezugszeit für das Erziehungsgeld gerade bei Geringverdienern und Transferbeziehern zu Einschnitten führt. Das Ziel muss sein, dass das Leben mit Kindern für junge Eltern nicht gleichbedeutend ist mit Karriereknick und Armutsrisiko. Insbesondere für die jungen, gut ausgebildeten Frauen in unserem Land muss künftig gelten: Kinder und Karriere, beides geht. Nur so können wir dem demographischen Wandel und der Überalterung einer Stadt wie Coburg positiv begegnen."Mit von der Partie waren auch der Coburger Bürgermeister Norbert Tessmer, der mit MdB Scharfenberg in weiten Teilen einer Meinung war. Er machte nochmals die auf die genauen Gegebenheiten von Coburg aufmerksam. Auch hier sei der demographische Wandel angekommen, er klopfe quasi an die Tür. Für Coburg reklamierte er, dass die Stadt dies erkannt habe und entsprechend in den Bereichen Wohnungsbau, Kinder- und Altenpolitik reagiere. Frau Ingrid Klinlger-Joppich als Vertreterin für die AWO stellte das "Leuchtturmprojekt" Mehrgenerationenhaus in Bad Rodach vor. Man sei sehr stolz, dass das Familienministerium das AWO-Projekt als erstes bayerisches Förderprojekt ausgewählt habe. Man setze im Mehrgenerationenhaus auf Vernetzung der Generationen und der Bedürfnisse dieser. Bürgerschaftliches Engagement solle gestärkt, unterstützt und begleitet werden. Als dritter Coburger brachte sich Herr Schledz vom Coburger Seniorenbeirat in die Diskussion ein. Er erläuterte die Aufgaben und Ziele des Seniorenbeirates als wichtige Anlaufstelle für die Coburger Senioren. So erarbeitete der Beirat Broschüren, die das Leben und die Kontaktaufnahme nach außen erleichtern. Somit wirkt aktiv einer Isolation im Alter entgegen gewirkt.

Im Anschluß fand eine rege Diskussion mit den Besuchern der Veranstaltung statt, die wieder einmal mehr deutlich machte: der Demographische Wandel bewegt viele Menschen.

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