Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Alte Leute rasieren statt Gesetze machen

Pressemitteilung vom 23.09.2006.

23.09.2006

Auf dem Wildenberg in Selbitz: Grüne Politikerin Elisabeth Scharfenberg hilft einen halben Tag lang bei der Altenpflege im Walter-Hümmer-Haus

Für einen halben Tag hat das Pflegeteam des Selbitzer Walter-Hümmer-Altenheims Verstärkung bekommen: Die grüne Bundestagsabgeordnete Elisabeth Scharfenberg greift dem Personal im Rahmen der Aktion Rollentausch einen Vormittag lang unter die Arme.

SELBITZ - Eine blonde Frau Anfang vierzig eilt emsig wie ein Bienchen hin und her, um hier eine Seniorin in den Sessel zu hieven und dort einem Bewohner sein Getränk zu reichen. Jeder Handgriff sitzt. In ihrem weißen Kittel und ihrer liebevollen Art, mit alten Menschen umzugehen, könnte man sie beinahe für eine Pflegerin halten. Nur die Tatsache, dass sie die betagten Herrschaften vor jedem Gespräch nach ihren Namen fragen muss, verrät, dass sie heute zum ersten Mal hier ist. Eigentlich arbeitet sie in Berlin. Im Bundestag. Dort ist sie Abgeordnete, pflegepolitische Sprecherin der Grünen und sitzt im Ausschuss für Gesundheit. Und so hat Elisabeth Scharfenberg tagtäglich mit den Themen Gesundheit und Pflege zu tun. Aber eben nur in der Theorie. Damit sie das Gespür dafür nicht verliert, worüber sie in Berlin überhaupt entscheidet, war es ihr Wunsch, das Leben und Arbeiten in einem Pflegeheim einmal hautnah mitzuerleben. Gesagt, getan. Da ist sie also.

Frühsport In aller Frühe, kurz nach neun, sitzt die Politikerin bereits im Aufenthaltsraum, wo die wichtigsten Meldungen des Tages laut und verständlich aus der Zeitung vorgelesen werden. Denn auch schlechte Ohren sollen hören, was in der Welt passiert. Eifrig kommentieren die Senioren das Geschehen und verwickeln ihre Besucherin in eine lebhafte Diskussion über das Wetter, Fußball und das Fernsehprogramm. Dann heißt es raus aus dem Sessel. Jetzt geht die Arbeit richtig los. Richard Munzert will rasiert werden. Elisabeth Scharfenberg greift zum Elektrorasierer und fünf Minuten später sind die Bartstoppeln weg. Der 94-Jährige ist zufrieden.

Weiter geht‘s zur Sitzgymnastik. Schultern zurück, Hände hoch und Arme über Kreuz. Die Senioren haben riesig Spaß am Turnen. Sie werfen Knie, Füße und Beine in die Luft und kicken einen Wasserball durch den Raum. Elisabeth Scharfenberg gerät ins Schwitzen.

Jetzt darf sie kurz durchatmen. Die Pflegerinnen laden sie zur Frühstückspause ein und schütten ihr bei einer Tasse Milchkaffee ihr Herz aus. Sie beklagen sich über die ihrer Ansicht nach unnötige Pflicht, jeden Arbeitsschritt akribisch zu dokumentieren. "Wir müssen genau aufschreiben, wer wen wann und wie oft wäscht, wer wann im Bett umgedreht, gefüttert oder zur Toilette gebracht wird", schimpft Silke Limmert. "Das ist doch überflüssig wie ein Kropf. Selbstverständlich ist es nötig, außergewöhnliche Vorkommnisse wie Krankheiten zu dokumentieren, aber doch keine Selbstverständlichkeiten. Die Zeit, die ich damit verschwende, Strichlisten zu führen, würde ich lieber den Senioren direkt widmen. Ich sehe doch, ob jemand baden oder mehr essen muss." Außerdem sei keine noch so genaue Buchführung eine Garantie, dass die Heimbewohner gut versorgt seien, sagt Pflegedienstleiter Matthias Lang. Im Selbitzer Altenheim sei die Pflege der Bewohner selbstverständlich tadellos. "Aber ich bin mir sicher, dass die Einrichtungen, die für Negativschlagzeilen in der Presse gesorgt haben, auch einwandfreie Statistiken hatten." Elisabeth Scharfenberg ist der gleichen Meinung: "Es sollte einfach mehr auf Ergebnisqualität geachtet werden." Was der Abgeordneten genau so Kopfzerbrechen bereitet wie der Heimleiterin Erika Pöllmann, ist die anstehende Verlagerung des Heimrechts vom Bund auf die Länder. "Ich habe mich strikt dagegen ausgesprochen, aber die Große Koalition war dafür", so die Politikerin. Die beiden Frauen befürchten, dass nach der Reform aus Kostengründen noch weniger Fachkräfte in der Altenpflege beschäftigt werden. "Momentan haben wir im Heim genau die richtige Mischung zwischen Fachpersonal und anderen Angestellten", sagt Erika Pöllmann. Wie aber solle künftig dem hohen Anspruch hinsichtlich der Pflegequalität Genüge getan werden, wenn die Fachpersonalquote noch weiter sinke?

Lästige Strichlisten Zudem ist den Selbitzer Pflegerinnen die Geringschätzung ihrer Arbeit im Heim gegenüber ambulanter Dienste, die Senioren zu Hause pflegen, ein Dorn im Auge. "Das kann ich gut verstehen. Ambulant vor stationär funktioniert eben nicht immer", so Elisabeth Scharfenberg.

Es mache keinen Sinn, die beiden Sektoren der Altenpflege gegeneinander auszuspielen und den einen höher zu werten als den anderen. "Natürlich ist es schön, wenn alte Menschen so lange wie möglich daheim wohnen können. Aber nicht um jeden Preis", sagt Erika Pöllmann. Ab einem gewissen Zeitpunkt sei die häusliche Pflege für die Angehörigen einfach nicht mehr zu schaffen. "Man muss froh sein, dass es Altenheime gibt." Auch müsse man bezüglich der Pflege die individuellen Wünsche der Senioren in den Vordergrund stellen. "Wenn jemand zu Hause bleiben will und kann - gut. Aber viele alte Menschen möchten halt gerne in eine Einrichtung. Das sollte man auch nicht vergessen." Neben der Heimleiterin klingelt‘s. Es ist der Piepser von Silke Limmert. Richard Munzert braucht sie. Die Pause ist vorbei. Doch bevor sich die Pflegerinnen wieder zur Arbeit verabschieden, lädt die Politikerin sie noch zu einer dreitägigen Reise nach Berlin ein. Sie sei schließlich im Rahmen der Aktion Rollentausch hier. Und da ein Tausch eine zweiseitige Angelegenheit sei, wolle sie nicht nur Gast, sondern auch Gastgeberin sein. Erika Pöllmann und ihre Truppe strahlen: "Drei Tage Berlin - klasse." Dann geht‘s wieder an die Arbeit.

Auf nach Berlin Auch die Politikerin schlüpft nochmal in ihr weißes Kittelschürzchen und begibt sich in den Speisesaal. 11.30 Uhr. Essenszeit. Die Senioren beugen sich über die Teller. "Mmh, lecker." Doch manch einer tut sich mit dem Essen schwer . Die Hände wollen eben nicht mehr so wie früher, die Finger zittern. Gut dass gerade Verstärkung da ist. Immer wieder steht Elisabeth Scharfenberg auf. Wo nötig, hilft sie, Fleisch zu schneiden oder die Gabel sicher zum Mund zu führen. Und dabei hat sie für jeden ein freundliches Wort. Kein Wunder, denn im Umgang mit alten Menschen ist die Politikerin geübt. Bevor sie im September des vergangenen Jahres in den Bundestag gewählt worden ist, war sie 15 Jahre lang in der Sozialarbeit tätig und betreute im Auftrag des Vormundschaftsgerichts alte Menschen im gesetzlichen Rahmen.

Und wie hat sich Elisabeth Scharfenberg als Altenpflegerin angestellt? "Prima", loben die Selbitzer Senioren und sind sich mit der Grünen einig: "Alle Bundestagsabgeordneten sollten mal hier arbeiten. Aber nicht nur einen halben Tag, sondern eine ganze Woche lang - damit sie wissen, worüber sie in Berlin entscheiden." Herbert Munzert ist ein geduldiger Mann. Obwohl seine Pflegerinnen ihn geschickter rasieren, freut er sich, dass Elisabeth Scharfenberg an diesem Tag diese Aufgabe übernimmt. Freundlich weist er sie darauf hin, wenn sie hier und da aus Versehen ein paar Stoppeln stehen lässt. Und mit vereinten Kräften ist sein Gesicht nach wenigen Minuten so glatt wie ein Babypopo FOTOS: SCHMIDL Hände hoch und über Kreuz: Die Selbitzer Senioren zeigen ihrer Besucherin, mit welchen Übungen sie sich fit halten

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